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EINE KUR GEGEN ABTEILUNGSDENKEN UND FEHLENDEN TEAMGEIST

„Bring doch du den Müll raus!“, empört sich eine Mitarbeiterin vom Empfang der Zahnarztpraxis gegenüber der Prophylaxeberaterin. Der Chef schaut unglücklich zwischen seinen beiden Mitarbeiterinnen hin und her. So kann es nicht weitergehen. Das ist kein Team. Das ist ihm ganz klar.

„Dafür bin ich nicht zuständig!“

Der Chef einer großen Zahnarztpraxis meldete sich bei mir, um die ewigen Querelen in seinem Praxisteam aus der Welt zu schaffen. Zusammen mit meinem Evoleo-Kollegen Christian Blankenhorn übernahm ich den Auftrag.  Beim Vorgespräch mit dem Zahnarzt und seiner Kollegin erfuhren wir, dass die Atmosphäre in der Praxis angespannt war. „Die Zusammenarbeit läuft nicht rund“, sagte uns der Zahnarzt, „ich glaube, ich hätte bessere Zahlen, wenn das Team besser zusammenarbeiten würde. Ich weiß aber nicht,woran es liegt.“

Problematisch war insbesondere, dass allgemeine Aufgaben, die nicht explizit einer Abteilung zugeordnet waren, liegenblieben. Jeder Mitarbeiter hatte sich in seinem Bereich verschanzt, jeder kämpfte nur um seine eigene Position in der Hackordnung und um die Berücksichtigung seiner Belange. Offensichtlich fühlte sich niemand verantwortlich für die Praxis insgesamt.

Fehlender Teamgeist, Konflikte zwischen Mitarbeitern, Tratsch, Abteilungsdenken, hakelnde Prozesse, mangelnde Verantwortung für den Gesamterfolg – soweit die Symptome. Aber was ist die Ursache?

Liegt es an einem oder zwei Mitarbeitern, die die Stimmung vergiften? Sind es schlechte Strukturen? Oder stinkt der Fisch vom Kopf? Ohne eine genauere Untersuchung können Sie die Ursache des Problems nicht erkennen. Denn die ist selten offensichtlich.

Gehemmt, gebremst, gelähmt

Das gesamte Team wurde gefordert, indem wir an einen ungewohnten Ort gingen: Raus an die frische Luft! Dort führten wir verschiedene Teamtraining-Übungen durch, um die sozialen Beziehungen live in Aktion erleben zu können.

Dabei zeigte sich schnell, dass niemand die Führung übernahm oder Lösungen für das Team suchte. Bei allen war eine deutliche Zurückhaltung gegenüber den anderen zu spüren. „Sie sprechen gar nicht miteinander“, teilte ich meinem Kollegen Blankenhorn meine Beobachtung mit. Wo immer möglich, arbeiten wir zu zweit – einer leitet die Übung, der andere beobachtet und hält den Raum.

Bei dieser Übung z.B. hatte eine der Auszubildenden sofort die Lösung. Doch sie brachte ihren Vorschlag einfach zu leise vor und niemand beachtete sie. Das ganze Team agierte wie mit angezogenen Handbremsen. Das Denken in Bereichen und Funktionen hemmte jede Form von Zusammenarbeit und verhinderte, dass die Mitarbeiter ihre ganze Kraft ins Team einbrachten.

Nach kurzer Zeit sahen wir klar: Wir wussten, wo wir ansetzen können. Darum setzten wir uns mit dem Chef, unserem Auftraggeber, im Konzil zusammen und unterbreiteten ihm unseren Trainingsplan.

Was geht und was geht nicht?

Wenn die Kommunikation in einem Team durch Konflikte und Schuldzuweisungen geprägt ist, kann es bereits sehr heilsam sein, die Teammitglieder ganz einfach und gezielt dafür zu sensibilisieren, wie Kommunikation unter Menschen gelingen kann. Indem sie unvollendete Kommunikation verantwortlich vollenden: sich gegenseitig wahrnehmen, sich sehen, respektvoll miteinander umgehen und sich ein Gegenüber sein; sprechen, was gesagt werden muss, und hören, was gesagt wird. Wir zeigten dem Chef, wie wir das bewerkstelligen wollten.

Mit seinem grünen Licht gingen wir mit dem gesamten Team – inklusive des Chefs und seiner Kollegin – in die Workouts: Zuerst ging es darum, Sprechen und Hören zu lernen. Eine Person muss genau hören und dann wiedergeben, was der andere gesagt hat – und zwar ohne zu interpretieren. Erst dann beginnt das Sprechen. Denn Sprechen beginnt mit Hören! Das fällt uns besonders schwer, da wir selbst alle aus einem kulturellen Kontext kommen, in dem wir – schon als Kind – selten gehört sind.

Außerdem entwickelten wir mit dem Team eine neue Landkarte für Feedback – das neue Verständnis, dass Feedback keine Kritik, sondern ein Beitrag zum Wachstum, ein Geschenk ist. Feedback ist kein Angriff, sondern einzig eine Information darüber, was in der Vergangenheit funktioniert hat und was nicht.

Beim nächsten Workout übte das Praxisteam das kollegiale Coaching ein, und zwar so, dass die Mitarbeiter das auch in Zukunft selbstständig einsetzen konnten. Kollegiales Coaching geht so: Einer hat ein Anliegen – sei dies nun ein Problem, ein Vorschlag, ein Auftrag, ein Projekt. Der Zweite übernimmt die Funktion des Coaches und gibt dem Ersten seine Einschätzung, ob dessen Vorhaben funktioniert oder wie es anders funktionieren könnte: Wenn’s läuft, Go! Wenn’s nicht zielführend ist, versuche etwas anderes, und Go! Der Dritte beobachtet das Gespräch und gibt dem Coach Input – er coacht sozusagen den Coach. Das funktioniert gerade deshalb so gut, weil sich durch die neue Feedback-Landkarte niemand mehr angegriffen fühlen muss und der Einsatz der dritten Person quasi eine doppelte Sicherung darstellt. Das ist schnelles Lernen und bringt wahre Innovation hervor.

Endlich sprechen sie miteinander!

Mit diesem Fokus auf eine beziehungsfördernde Kommunikation brachte sich das Team dazu, nicht ständig in Funktionen und Zuständigkeiten zu denken. Denn das sichtbar an der Oberfläche liegende Problem „Ich bin hier die Prophylaxeberaterin und du bist die Sprechstundenhilfe. Der Müll ist also deine Aufgabe“ war überhaupt nicht das Problem, sondern nur ein Symptom.

Indem sich das Team befähigte, wie ein Team zu kommunizieren, begann es ganz automatisch, sich auch wie ein Team zu verhalten. Es ging plötzlich nicht mehr um Hierarchien, Funktionen und Zuständigkeiten, weil jeder die Verantwortung für das übernahm, was er bemerkte. Stattdessen hatten die Mitarbeiter Freude daran, sich zuzuhören, wertschätzend miteinander zu sprechen und motiviert ihre Aufgaben zu erledigen.

Am Schluss spiegelten wir dem Team zurück, welche großartigen Fortschritte es in so kurzer Zeit gemacht hatte. Wir verabschiedeten uns mit einem kleinen, aber ziemlich emotionalen Off-Kick, in dem die Teammitglieder etwas über ihre persönlichen hellen Prinzipien erfuhren und sich damit selber besser kennenlernten.

Unser Auftraggeber berichtete nach einigen Wochen begeistert, dass der Praxisbetrieb viel organisierter, reibungsloser und freundlicher abliefe und die Mitarbeitergespräche mehr Substanz hatten. Auch für die Kunden waren die Kompetenz und die Wohlfühlatmosphäre wieder spürbar. Das kollegiale Coaching wurde vom Team weiterhin angewandt. Und über eines musste nie mehr gesprochen werden: Wer den Müll rausbringt.

Christian Blankenhorn
christian.blankenhorn@evoleo.de
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